Professional Documents
Culture Documents
Zusammenfassung
Die Vorteile von Microlearning gegenüber langatmiger (Online-) Schulungen liegen auf der
Hand: Sie führen schnell zu Lernerfolgen, unterbrechen den Alltag nur kurz und entsprechen
der Kultur der „Net Generation“. Mit einem Blogeintrag stellte sich GABI REINMANN (2010a)
diesen Argumenten offen entgegen und sprach sich für die Notwendigkeit langer Lernphasen
für eine umfassende Bildung aus. Dabei widersprechen sich die Lernkonzepte nicht, sondern
können und müssen einander ergänzen. Auch die dafür benötigten Lernmaterialen sollten nicht
isoliert voneinander erstellt werden: durch eine geeignete Strukturierung können Bestandteile
umfassenderer Schulungen für Microlearning-Einheiten wiederverwendet werden.
1
TAGUNGSBANDTITEL
Dieser Artikel befasst sich zunächst damit, ob und in welchem Grad es sich
bei Micro- und Macrolearning tatsächlich um gegensätzliche Lehr-
/Lernkonzepte handelt. Weiterhin werden spezielle Anforderungen an ein
Autorensystem zur effizienten Konzeption und Wiederverwendung von Lern-
inhalten, die sowohl Macro- als auch Microlearning-Einheiten unterstützen
sollen, identifiziert und Strategien zur Verteilung von Microlearning-Einheiten
beschrieben.
2 Hintergrund
2.1 Microlearning
Zu Microlearning zählt Robes (2009) „kurze Online-Aktivitäten“, durch die
Lernende zusammen mit einem Bildungsexperten ein klar abgegrenztes
Thema bearbeiten oder aktuelle Fragen selbstorganisiert beantworten. Vortei-
le des Konzeptes lassen sich dabei unmittelbar in den Bereichen finden, deren
Entwicklungen erst für das Entstehen des Trends verantwortlich waren.
Während der Weiterbildungsbedarf der Mitarbeiter im Unternehmen zwar
immer weiter steigt, können diese es sich kaum noch leisten, ihr Tagesge-
schäft für stunden- oder tagelange Schulungen ruhen zu lassen (Gloger,
2009). Auch an Hochschulen lassen Bologna und die damit verbundene
Modularisierung durch enge Stundenpläne immer weniger Zeit zur intensiven
Vor- und Nachbereitung oder gar Vertiefung des Lernstoffs. Durch die Vermitt-
lung in kleinen Lerneinheiten direkt am Arbeitsplatz sollen die Zeitspannen, bis
das Gelernte angewendet werden kann, verkürzt werden (Brall & Hees, 2007).
Besonders im Bereich der betrieblichen Weiterbildung wird diesem Konzept
immer mehr zugetraut, aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen zu
begegnen (MMB-Institut für Medien-und Kompetenzforschung, 2010). Aber
auch in der (Hochschul-) Lehre besteht Potential zur Verkürzung von Lernzei-
ten und somit Schaffung von bisher nur rar gesäten Freiräumen.
Die Verbreitung mobiler Endgeräte, wie Note-/Netbooks, Handy, Smartpho-
nes, MP3- und Videoplayern (Bruck, 2005) hat den Bedarf an Inhalten geför-
dert, die „unterwegs“ und „nebenbei“ konsumiert werden können. Durch den
ständigen Zugriff auf online zur Verfügung stehenden Materialien und deren
immer einfacher werdende Produktion können neue Lernmaterialien schnell
und unkompliziert verteilt werden, wie bspw. der erfolgreiche Einsatz von E-
Lectures1 oder Podcasts2 in der Hochschullehre zeigt.
Die vielleicht wichtigste Voraussetzung von E- und letztendlich auch Micro-
learning ist das Verschwinden technischer Hürden. Während die Arbeit mit
1 Z.B. haben sich an der TU Graz (2010) oder der Universität Hamburg (2010) Portale für elektronische Vorlesungsaufzeichnungen
und –streams etabliert.
2 Siehe z.B. (Reinmann, 2009). Weiterhin pflegen einige Universitäten eigene Podcast- bzw. iTunes-Kanäle.
2
ÜBER KURZ ODER LANG. EIN SCHLICHTUNGSVERSUCH ZUR DEBATTE ÜBER MICRO-
UND MACROLEARNING
Computer und Internet in den 80er und 90er Jahren für viele Mitarbeiter ein
Problem darstellte, wird der heutigen Net Generation (Tapscott, 1997) nicht
nur der gewohnte Umgang mit mobilen Netztechnologien, sondern auch eine
gewisse Affinität dazu nachgesagt. Ein Beispiel hierfür ist der Erfolg der
Kommunikationsplattform Twitter (twitter.com, 2010), der zudem deutlich
macht, dass kurze Informationsbausteine immer selbstverständlicher werden.
Problematischer sind dagegen diejenigen Lerninhalte, die nicht beliebig ver-
kürzt werden können. In dem Forschungsprojekt Microtraining, in dem Kon-
zepte zum strategischen Einsatz kurzer Lernphasen entwickelt wurden, wurde
explizit herausgestellt, dass „detaillierte Ausführungen theoretischer Hinter-
gründe […] nicht durch Microtrainings vermittelt“ werden können, sondern bei
Interesse „durch den Lernenden im Nachgang erarbeitet werden“ müssen
(Brall & Hees, 2007) – also ganz im Sinne ganzheitlicher Bildungsansätze.
2.2 Macrolearning
Während BRUCK (2005) den Begriff des Macrolearning dem Microlearning
negativ besetzt gegenüberstellt, benennt REINMANN (2010a) damit schlichtweg
ganzheitliche Lehrkonzepte, die nicht nur einzelne Fakten und kurze Erläute-
rungen, sondern auch Hintergründe und Zusammenhänge vermitteln.
Es handelt sich also nicht um neue Lernformen, sondern um das traditionel-
le formelle Lernen (Cross, 2007) – eben so, wie es in Bildungseinrichtungen
und Weiterbildungsinstituten gängige Praxis ist. Ein von einer offiziellen In-
stanz wie Bildungsministerien oder Personalabteilungen vorgegebener Lehr-
plan definiert Lernziele und Rahmenbedingungen. Davon ausgehend werden
Bildungsmaßnahmen wie Unterrichtsstunden, Schulungsinhalte und
-materialien abgeleitet, didaktisch sinnvoll zusammengestellt und durchge-
führt. Ein wichtiges Element ist die Bewertung des Lernerfolgs, die gewöhnlich
durch die Anerkennung der Lernleistung in Form von Noten, Abschlüssen und
Zertifikaten abschließt.
Formelles Lernen oder Macrolearning zielt auf die breite Einführung, ein
umfassendes Verständnis oder die Vertiefung in einem Gebiet ab. Es bereitet
auf spätere Aufgaben und Problemlösungen vor, für die Bewältigung aktueller
Problemstellungen ist es aufgrund seiner langen Dauer aber nicht geeignet.
3
TAGUNGSBANDTITEL
Abb. 1: Lernkonzeption bei Micro- und Macrolearning, vgl. (Adelsberger, Collis, & Pawlowski,
2002) bzw. (Hug, 2005)
Bei der Einordnung von Micro- und Macrolearning in die Gestaltungspraxis
von Lernangeboten an Hochschulen und in der betrieblichen Weiterbildung
(Seufert & Euler, 2005) ist erkennbar, dass beide Lernkonzepte über deren
Macro-, Meso- und Micro-Ebene reichen, aber unterschiedliche Richtungen
beschreiben (siehe Abb. 1): Bewährte Macrolearning-Konzepte gehen von
einem Lehrplan mit klar definierten Lernzielen aus und leiten anschließend
Lerneinheiten ab, während der Fokus von Microlearning-Ansätzen bei der
Vermittlung kurzer, problemorientierter Lerneinheiten liegt, die durch bedarfs-
gerechte Verteilung und allmähliche Komplettierung zur Kompetenzbildung
beitragen. In Tabelle 1 sind grundsätzliche Unterschiede der beiden Ansätze
beschrieben. Somit kann Microlearning tatsächlich als Teil eines umfassenden
Lernkonzepts verstanden werden – aber auch als Ergänzung, die im ur-
sprünglichen Lehrplan in dieser Weise nicht vorgesehen war.
Microlearning Macrolearning
Umfang Kurzer Lernprozess mehrere Tage bis Jahre, Reihe von
(wenige Minuten) kurzen und längeren Lernprozessen
Lernziel Kurzfristige Problem- Umfassendes Wissen, allgemeines
lösung Verständnis, Bewertung
Bedarf des vor dem Lernprozess eventuell nach dem Lernprozess
Gelernten
Lernstrategie Operativ Strategisch
Lernform Eher informell Eher formell
Steuerung Bottom-up Top-down
sen vermittelt, das für den späteren Arbeitsalltag und die zukünftige Lösung
von Problemen benötigt wird. Aber nicht alle vermittelten Inhalte werden
gleichermaßen behalten, zudem können nicht alle Problemfälle detailliert
abgedeckt werden. Hierfür eignen sich kurze Lerneinheiten, die schnelle
Erfolge und damit eine schnelle Anwendung des Wissens im (Arbeits-) Alltag
ermöglichen. Die Erstellung von Lernmaterialien für beide Lernkonzepte
erfordert Werkzeuge, die den jeweiligen besonderen Eigenarten entsprechen.
5
TAGUNGSBANDTITEL
3.3 Ansätze für die Erstellung von Lernmaterialen für Micro- und
Macrolearning in einem LCMS
Wesentlicher Unterschied bei der Erstellung von Lernmaterialien für Micro-
und Macrolearning-Einheiten sind Art und Umfang der ausgewählten Lernzie-
le. Während für die Vermittlung umfassenden Wissens mehrere Lernziele,
t. w. durch verschiedene Teilzielen komplex untergliedert, zusammengestellt
werden, fällt die Auswahl für kurze Lerneinheiten auf nur wenige Lernziele.
Microlearning-Einheiten können demnach sehr gut aus bestehenden Materia-
lien extrahiert werden, wenn sie sich inhaltlich für eine isolierte Bearbeitung
eignen, wie bspw. Wiederholungen, Zusammenfassungen oder Best-
Practices. Für die Verteilung der Microlearning-Materialien existieren drei
grundsätzliche Strategien, abhängig von Lernkontext und Regelmäßigkeit der
Lernphasen.
3.3.1 Curriculumbasierte Verteilung von Microlearning-Einheiten
Der soll Lernende zwar systematisch weitergebildet werden, hat im (Arbeits-)
Alltag hierfür aber nur wenig Zeit zur Verfügung. Durch die regelmäßige und
an einen Lehrplan orientierte Verteilung kurzer Lerneinheiten kann diesem
Dilemma entgegengetreten werden. Ein solches Vorgehen wurde im Rahmen
des Microteaching-Projekts entwickelten Konzepts Microtraining für die Pilot-
bereiche Mikro- und Umwelttechnologie erfolgreich umgesetzt und evaluiert
(Overschie, von Wayenburg, de Vries, & Pujadas, 2006).
6
ÜBER KURZ ODER LANG. EIN SCHLICHTUNGSVERSUCH ZUR DEBATTE ÜBER MICRO-
UND MACROLEARNING
4 Zusammenfassung
Micro- und Macrolearning sind keine konkurrierenden Konzepte, vielmehr
haben sie unterschiedliche Einsatzszenarien: Um durch Microlearning-
Einheiten eine schnelle Anwendung des Gelernten zu erlangen, muss ein
gewisses, komplexes Grundwissen bestehen, in das die neuen Informationen
eingebettet werden können. Gleichermaßen ist es zur schnellen Problemlö-
sung unzweckmäßig, lange dauernde Schulungen und E-Learning-Kurse zu
besuchen. Hier sind kurze Lerneinheiten gefragt, die schnell zu einer Antwort
führen. Diese Symbiose beider Lernformen kann bei der Erstellung von Lern-
materialien genutzt werden, um einzelne Abschnitte größer angelegter Lern-
materialien für Microlearning wieder zu verwenden.
5 Literaturverzeichnis
Adelsberger, H., Collis, B., & Pawlowski, J. M. (2002). Handbook on
information technologies for education and training. Springer.
Baumgartner, P. (2004). Didaktik und Reusable Learning Objects (RLOs). (D.
Carstensen, & B. Barrios, Hrsg.) Campus 2004 - Kommen die digitalen
Medien an den Hochschulen in die Jahre , S. 311-327.
7
TAGUNGSBANDTITEL